ROSA LILA VILLA

Seit 1982

Text von Marty Huber erschienen in “Besetzt! Kampf um Freiräume seit den 70ern” – Czernin Verlag in Kooperation mit dem Wien Museum. Herausgegeben von Martina Nußbaumer und Werner Michael Schwarz. 

DO ITI 30 JAHRE ROSA LILA VILLA – UND SIE BEWEGT SICH IMMER NOCH 1

Im Hof eines alten Wiener Hauses baumelt ein junger Mann kopfüber von einer Teppichklopfstange. Hinter ihm auf der Gartenmauer ist ein aufgemalter Schriftzug zu lesen: „Do it/“ Diese Aufmunterung, es zu tun, war einige Zeit im Hof der Rosa Lila Villa im sechsten Wiener Gemeindebezirk zu lesen. Das Haus in der Linken Wienzeile 102 feiert im Jahr 2012 sein 30-jähriges Bestehen als Hort lesbischer, schwuler und mittlerweile auch transgender Aktivismen.

Die Rosa Lila Villa – als alternatives Projekt, das kommunales Wohnen, Beratung, Aktivismus und Gastlichkeit miteinander vereint – ist bisweilen in der LGBTIQ (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Intersex and Queer)-Community ein einzigartiges Projekt, wenn es auch in verschiedenen Städten ähnliche Ansätze gab, solche Häuser zu verwirk-lichen.? Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie dieses rosa-lila Hausprojekt zustande kam, wie die Welt, die es umgibt, darauf reagierte und wie es sich selbst regiert.

ROSA (AUF-)WIRBELN UND PUNSCHKRAPFEN

Zwei Formen sozialer Bewegungen Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre können als wegweisend für die Besetzung der Rosa Lila Villa bezeichnet werden. Zum einen war dies die Hausbesetzungsszene, zum anderen der Beginn lesbischer und schwuler Emanzipationsbewe-gungen. Neben der HOSI (Homosexuelle Initiative Wien) gab es AktivistInnen, die sich weniger für den Gang durch die Institutionen als vielmehr für aktionistische Aktivitäten interessierten. Bekannt wurden sie unter dem Namen Rosa Wirbel, berühmt wurden sie für die Intervention am Neu-jahrskonzert 1982, als zwei nackte Aktivisten mit nur einem Mascherl bekleidet die Bühne erklommen und mit einem Transparent in Form eines Rosa Winkels „Menschenrechte für Schwule“ forderten. Andere AktivistInnen setzten im Februar 1982 am Opernball eine ähnliche Aktion in Szene.

Aus diesem losen Zusammenschluss lesbisch-schwuler AktivistInnen entstand das Begehren, sich auf die Suche nach alternativen Lebensentwürfen zu begeben, und dieses fand Widerhall in der sich gerade entwickelnden HausbesetzerInnenszene. Die Politik der Gemeinde Wien wies dabei eine Besonderheit auf, weil sie – um die Szene zu befrieden – anbot, Abbruchhäuser zur „legalen Instand-besetzung“ freizugeben. So wurden auf Betreiben der damaligen Vizebürgermeisterin Gertrude Fröhlich-Sandner zwei Konsulentinnen eingesetzt, die in der Vermittlung von Wohnraum und Leerständen an die Hausbesetzungsszene behilflich sein sollten. Eines der Projekte sollte ein Haus in der Liniengasse im sechsten Bezirk sein. In den Versamm. lungen der Hausbesetzerinnen war schon ausgehandelt worden, ein Stockwerk des riesigen Gebäudes für Lesben und Schwule zu reservieren. Doch leider musste das Vorhaben aufgrund der Baufälligkeit des Hauses abgesagt werden.

Die AktivistInnen, die sich für ein gemeinschaftliches Les-ben- und Schwulenwohnprojekt starkmachten, waren jedoch mehr geworden und wollten nicht vorzeitig aufgeben.

So kam es, dass das Abbruchhaus an der Linken Wienzei-le – das für eine Parkgarage platt gemacht werden sollte und nicht für eine Instandbesetzung seitens der Gemeinde Wien vorgesehen war – von innen heraus besetzt wurde.

Zug um Zug wurden leer stehende Wohnungen geöffnet, instand gesetzt, repariert und bewohnbar gemacht. In diese Zeit fallen wohl auch die in der Oral History des Hauses berühmt gewordenen Verhandlungen mit der Vizebürger-meisterin Fröhlich-Sandner, die den Hausbesetzerinnen Punschkrapfen kredenzte. Mit ihr wurde letztendlich die Legalisierung der Besetzung ausgehandelt, unter der Voraus-setzung, dass die Aktivistinnen eine Beratungsstelle für Lesben und Schwule einrichten und das Haus renovieren sollten. Am 15. November 1982 war es schließlich soweit und die Rosa Lila Villa öffnete erstmals ihre Pforten, nicht nur für die lesbisch-schwule Bevölkerung Wiens

EINE FASSADE DES ANSTOSSES

Pünktlich zur Eröffnung hatten die BewohnerInnen die wichtigsten Informationen des Hauses an die Fassade gemalt: „Rosa Lila Villa“ über der Eingangstür, Telefonnummer sowie Öffnungszeiten des „Rosa Lila Tip“ (der Informations- und Beratungsstelle) und, um das Wichtigste nicht zu vergessen, den Schriftzug „Erstes Wiener Lesben-und Schwulenhaus“, der für Furore sorgte. Diese bis heute starke Sichtbarkeit der Grundidee des Hauses war konservativen PolitikerInnen insbesondere auf Bezirksebene ein Dorn im Auge. Die Befriedung und damit erhoffte Ruhe um das Thema Homosexualität war nicht eingetreten, der weithin sichtbare Zweck des Hauses wurde mit dem Motto „Weil drauf steht, was drin ist!“ im Gegenteil verstärkt.

Dass dies möglich war, ist auch noch aus einem anderen Grund erstaunlich: Das Sexualstrafrecht Österreichs verbot solche Äußerungen im § 220 (Verbot der Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechtes) aus-drücklich, ebenso wie es das Gründen von Verbindungen verbot, die „gleichgeschlechtliche Unzucht“ begünstigten (§ 221). Die Aufhebung der Paragrafen 220 und 221 wurde erst im November 1996 beschlossen und trat März 1997 in Kraft. Gegen die Rosa Lila Villa wären wohl beide Paragrafen anwendbar gewesen, das Einzige, was passierte, war jedoch eine Beschlagnahmung von Safer-Sex-Broschüren der deutschen AIDS-Hilfe und eine Strafanzeige wegen des Verstoßes gegen das Pornografiegesetz im Jahr 1990.3 Der „Schandfleck“, wie die Fassade der Rosa Lila Villa in diversen Medien bezeichnet wurde, sollte mit der Total-sanierung Mitte der 1980er-Jahre verschwinden. Die Rosa Lila Villa hatte zu dieser Zeit von der Gemeinde Wien das Baurecht auf 30 Jahre erhalten; diese Form der Legalisierung und langfristigen Absicherung bot den Bewohner-Innen und AktivistInnen die Möglichkeit, an eine derartige Totalsanierung überhaupt zu denken.* Nun wurde die Villa innen wie außen renoviert, die alten Aufschriften ver-schwanden, jedoch verkündete die Fassade nach kurzer Zeit wieder den Zweck des Hauses, diesmal in der bis heute gleichen Form „Lesben- und Schwulenhaus“.5 Die ÖVP und die FPÖ auf Bezirksebene tobten, der damalige Bezirksvorsteher Kurt Pint verlangte, die „sittenverderben-de Aufschrift“ zu entfernen, hatte doch ausgerechnet die ÖVP die Fassadenfarbe für den ersten Anstrich gestiftet.® Bezirksrätin Ilse Arié (FPÖ) meinte gar, „daß in einem liberalen Rechtsstaat eine kleine, lautstarke Minderheit nicht das Recht hat, eine eher schweigsame Mehrheit […] durch Provokation vor den Kopf zu stoßen*, Nun denn, bisweilen rauschten wohl Millionen von Menschen in ihren Autos, in den U-Bahn Waggons und Bussen an dieser Aufschrift vorbei. Für manche eine Provokation, für andere ein Hoff-nungsschimmer.

SELBSTBEHERRSCHT? DIE LEIDENSCHAFTEN DER SELBSTVERWALTUNG

Mit dem Abschluss der Renovierung wurde die Rosa Lila Villa neu strukturiert. Wo sich früher die BewohnerInnen um alle Bereiche des Hauses gekümmert, sprich das gemeinsame Wohnen und die Beratungsstelle organisiert sowie ein kleines Café (das Warme Nest) betrieben hatten, teilen sich bis heute die Bereiche in drei Vereine auf: den Rosa Lila Tipp (Informations- und Beratungsstelle und Trägerverein), den Wohnverein Rosa Lila Villa und das Café Willendorf.

Während das Lokal seit gut 20 Jahren nicht mehr kollektiv geführt wird, blieben Wohnverein und Beratung ihren aktivistischen Wurzeln treu und versuchen in konsensdemo-kratischer Grundhaltung die Wogen des Alltags zu meistern.

Nicht zu unterschätzen sind dabei die ökonomischen Hür-den, die das Haus überwinden muss: Der Kredit, der für die Totalsanierung aufgenommen werden musste, wurde durch Mietzahlungen aller abbezahlt. Die Gemeinde Wien bekommt jährlich einen Bauzins überwiesen, ansonsten muss die Rosa Lila Villa wie jede andere Hausverwaltung auch diverse Abgaben leisten (wie etwa Kanal-, Müll-, Wasser-gebühren). Einzig die Beratungsstelle bekommt eine kleine Subvention von der MA 13 (Bildungs- und Jugendabteilung der Stadt Wien), aus der sie ihre laufenden Kosten sowie ihre umfangreichen Tätigkeiten bezahlt. Neue Renovierungen stehen an, geplant ist eine Verbesserung der Barrierefreiheit des Hauses. Das Beharren auf konsensdemokratischen Entscheidungsstrukturen verlangsamt Entwicklungen in den Strukturen zum Teil erheblich, manchmal brechen Konflikte an bekannten Trennlinien auf. Mitte der 1990er-Jahre etwa teilte sich der Rosa Lila Tipp in zwei getrennte Untergruppen von Lesben und Schwulen auf, derzeit formiert sich der Türkis Rosa Tipp, der auch von Transgender-AktivistInnen getragen wird. Im Wohnverein hingegen, der mehrheitlich die Wohneinheiten als Schwulen-WG und Lesben WG organisiert hat, weichen aktuell die Abgrenzungen zwischen Lesben und Schwulen auf, es werden verstärkt neue Möglichkeiten alternativen Wohnens erprobt und der Zugang sowie die Ressourcenverteilung von Wohnraum neu überdacht. 

In all den Jahren ist die Rosa Lila Villa ein (relativ) offenes Haus geblieben, viele haben es bewohnt, sich aktivistisch organisiert und politisiert, gutes Essen und die spannende Szenerie belebt.

Diese Offenheit ermöglicht es, dass sie sich bis heute noch bewegt und verändert.

  1.   Die Hauptquellen zu diesem Text sind einerseits die Broschüre « 10 Jahre Lesben-und Schwulenhaus Rosa Lila Villa. Weil drauf steht, was drin ist!“ ,hg. v. Rosa Lila Tip. Wien 1992, sowie zahlreiche Gespräche mit und Erfahrungen in den Kollektiven der Rosa Lila Villa. Danke an alle!
  2.   Beispiele anderer Projekte in Wien, Berlin und Amsterdam sind etwa von mir und Erika Doucette in „Queer-feministische Besetzungen“ beschrieben. Siehe http://eipcp.net/transversal/0508/doucettehuber/de (19.2.2012).
  3.   Vgl. „Schwuler Sex. Sicher.“ Sicher nicht in Österreich: Broschüre beschlag-nahmt, in: Der Standard, 12. 11. 1990.
  4.   Mittlerweile wurde bei einer Neuverhandlung mit der Gemeinde Wien ein neuerlicher Baurechtsvertrag unterzeichnet. Dieser läuft bis 2045.
  5.   Eine neuerliche Änderung wird derzeit diskutiert, um die transgender Aktivistinnen sichtbar zu machen.
  6.   Vgl. Neuer Name für Rosa Lila Villa, in: Kurier, 15.2. 1989.
  7.   Ilse Arié: Wien ist anders – ein Rosa-Lila-Tip. Versprich – kassier – und provozier, in: Unabhängiges Stadt Journal Mariahilf 11 (1988), S. 6.